Nachgefragt bei Tanja Werts, Sportpsychologin im Team von Sportpsychologie München.
Wie wichtig ist es für einen Sportler mit Handicap, dass er Sport treibt?
Tanja Werts: Für Menschen, die ihre Behinderung erst im Laufe ihres Lebens erworben haben, zum Beispiel durch einen Unfall, kann der Sport sehr hilfreich sein, um die Behinderung zu bewältigen. Sich sportliche Ziele zu stecken, auf etwas hin zu arbeiten und durchzubeißen, kann helfen, sich selbst wieder stark zu fühlen. Es stärkt so die eigene Selbstachtung und auch, dass man von außen wieder anders wahrgenommen wird: zum Beispiel als leistungsfähige Person.
Welche Sportarten sind geeignet?
TW: Man sollte verschiedene Disziplinen ausprobieren und nach der geeigneten Sportart suchen. So kann man zum Beispiel Monoskigeräte für Rollstuhlfahrer an bestimmten Wochenenden Probe fahren und ausprobieren, ob das Skifahrern was für einen ist.
Macht es einen Unterschied, ob ich mich als Sportler mit Handicap für einen Individualsport oder für einen Mannschaftssport entscheide?
TW: Da erfahrungsgemäß für einige Menschen mit Behinderung wichtig ist, sich wieder einer Gruppe zugehörig zu fühlen und in der Gemeinschaft etwas Schönes zu erleben, scheinen Teamsportarten für viele reizvoller. Auch in manchen Individualsportarten wird intensiv gemeinsam trainiert, weshalb auch hier positive Gruppenerfahrungen und ein Wir-Gefühl entstehen kann.
Warum kapseln sich so viele Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung ab und ziehen sich zurück statt einem Sportverein beizutreten?
TW: Gefühle wie Scham und Unsicherheit spielen eine große Rolle. Das ist absolut verständlich, denn häufig machen Menschen mit Handicap ja schon im Supermarkt die Erfahrung, das ihr „Anderssein“ unangenehm auffällt. Sie werden angestarrt oder komplizierter behandelt als andere. Da wundert es nicht, dass bei so etwas Körperorientiertem wie Sporttreiben die Hürde höher hängt, da hier die Behinderung und ihre Auswirkungen sichtbar werden. Das kostet Überwindung. Vor allem, wenn dann noch hinzukommt, dass man selbst unsicher ist, ob man es schafft, sich zum Beispiel beim Schwimmen über Wasser zu halten. Man kennt die Hilfsmittel noch nicht, und auch nicht die Menschen, auf deren Hilfe man wohl möglich angewiesen sein wird.
Was raten Sie als Psychologe einem Menschen, der nach Krankenhaus und Reha wieder nach Hause kommt und sein Leben neu ordnen muss?
TW: Alle Gefühle zuzulassen, die aufkommen. Sie sind Teil eines wichtigen Prozesses. Vielen hilft, wenn sie mit ähnlich Betroffenen sprechen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder den Prozess professionell begleiten lassen, etwa durch Psychotherapie. Auf der anderen Seite ist für viele wichtig, zurück zu einem „normalen Alltag“ zu finden. Sich einer Aufgabe zu widmen, die nichts mit der Erkrankung zu tun hat. Am besten etwas, worin sie sich selbst als gut betrachten, wissen, dass sie es können. Ein Sportler hat zu mir einmal gesagt, dass für diese Zeit am wichtigsten sei, Geduld mit sich zu haben, auch kleine Schritte als Fortschritte anzuerkennen, und den Unfall als „Schnitt“ zu sehen, von dem an die Fortschritte gemessen werden, anstatt zu denken, dass der Schritt heute ein kleiner ist im Vergleich zudem, was schon mal möglich gewesen ist. Da steckt eine wichtige Leistung darin, nämlich anzunehmen, was ist.
Interview: Werner Kempf (Allgäuer Anzeigeblatt)