Interview Ärztezeitung vom 07.02.2014

Sportpsychologen helfen Sportlern

Mit Psycho-Tricks zur Olympia-Medaille

Heute werden die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi eröffnet – und die Medaillenjagd beginnt. Dass die deutschen Sportler im entscheidenden Moment ihre Nerven im Griff behalten – dafür sollen zwei Sportpsychologen sorgen.

Von Pete Smith

SOTSCHI. Schneller, besser, weiter: Unter dem Motto „Wir für Deutschland“ kämpfen von diesem Wochenende an 153 deutsche Athleten bei den XXII. Olympischen Winterspielen in Sotschi um die Medaillen.

Die Erwartungen sind ebenso hoch wie der Druck, dem die Sportler ausgesetzt sind. Wie man diesem standhält und sich auf den Punkt konzentriert, lässt sich erlernen – mit Hilfe von Sportpsychologen.

An den Druck werden die Athleten von früh auf gewöhnt„, sagt der Diplom-Psychologe Dr. Kai Engbert, einer von zwei Sportpsychologen, die das deutsche Olympia-Team in Sotschi betreuen.

Die Fähigkeit, auf den Punkt fit zu sein, entwickeln sie nicht auf ein Großereignis hin. Im Gegenteil müssen Spitzensportler grundsätzlich in der Lage sein, ihr Potenzial auch unter großem Druck abzurufen.

Engbert hat den Druck in seiner aktiven Laufbahn als Kanute selbst erlebt. Der 1976 geborene Psychologe war Deutscher Jugendmeister im Kanu-Slalom sowie zweimaliger Silbermedaillengewinner bei den Rafting-Weltmeisterschaften 1999 und 2000.

Als Sportpsychologe hat er das deutsche Team erstmals bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und zwei Jahre später auch während der Sommerspiele in London betreut. Besonders eng arbeitet er mit den Snowboardern zusammen.

Technik, Taktik und Physis

Die mentale Fähigkeit eines Sportlers ist ebenso wie die Technik, Taktik und Physis eine der Leistungskomponenten, auf die es in der Weltspitze ankommt„, erklärt Engbert. „Der klassische Trainingsweltmeister, der sich dem Druck nie aussetzt, wird im Wettkampf vermutlich versagen.

Seine Aufgabe sieht der Sportpsychologe aus Grasbrunn bei München darin, die Athleten unter den besonderen Umständen in Sotschi dabei zu unterstützen, ihr Leistungspotenzial abzurufen.

Zu den besonderen Umständen zählen nicht allein das enorme öffentliche Interesse, sondern auch die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen sowie die politische Situation in Russland einschließlich der Restriktionen gegen Homosexuelle.

Ein Problem könnte auch das Wetter werden, befürchtet Kai Engbert, der schon vor vier Jahren in Vancouver erlebte, dass es aus Kübeln schüttete und die Athleten nur schwer in den Wettkampf-Modus fanden.

In Vancouver gewann das deutsche Team zehn Goldmedaillen, 13 Silber- und sieben Bronzemedaillen, das zweitbeste Ergebnis seit der Wiedervereinigung, womit Deutschland im Medaillenspiegel Rang zwei hinter Gastgeber Kanada belegte.

Ein Podiumsplatz, den man auch in diesem Jahr anstrebe, wie Michael Vesper, Chef de Mission, vor Beginn der Spiele erklärte.

Dem deutschen Olympiateam gehören 77 Frauen und 76 Männer an, von denen die 15-jährige Skispringerin Gianina Ernst die jüngste und der 48-jährige Curler John Jahr der älteste Athlet sind.

Spannung aufbauen – und entspannen

Die größten Medaillenhoffnungen ruhen auf den Ski-Alpin-Stars Maria Höfl-Riesch und Felix Neureuther, den Eisschnellläuferinnen Claudia Pechstein und Jenny Wolf, den Eiskunstläufern Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, dem Nordischen Kombinierer Eric Frenzel und nicht zuletzt den deutschen Bobteams sowie den Rodlern Natalie Geisenberger, Felix Loch und Tatjana Hüfner.

Ausblenden, entspannen, visualisieren, sich positiv aufladen und auf das Wesentliche fokussieren – das sind die Basisfertigkeiten, die Athleten im Wettkampf benötigen, wollen sie ganz vorn landen.

Manche Sportler können gut Spannung aufbauen„, erklärt Psychologe Engbert, „schaffen es aber nicht, sich zu entspannen.“ In der Trainingsphase erlernen sie Techniken wie die Progressive Muskelentspannung, auf die sie auch im Wettkampf zurückgreifen.

Wer kurz vor dem Start merkt, dass er zu angespannt ist, kann beispielsweise die Pobacken zusammenkneifen, oft hilft das schon.

Einige Sportler sind es nicht gewöhnt, vor großem Publikum anzutreten, ihnen rät Engbert, vor Beginn des eigentlichen Wettkampfs einige Minuten auf die leeren Tribünen zu blicken und sich dabei vorzustellen, wie es sein wird, wenn sie bis auf den letzten Platz besetzt sind.

Manchmal spielt der Psychologe seinen Schützlingen sogar eine Aufnahme von Zuschauerlärm vor, um sie an die besondere Geräuschkulisse zu gewöhnen.

Ansprechpartner für Sportler, Trainer und Ärzte

Die Sportler bilden ihr Kopfkino aus„, so Engbert, „und lernen, sich Situationen äußerst lebhaft vorzustellen.“ Dazu gehöre auch die Besichtigung der Piste oder Bahn, um sich die Strecke einzuprägen und die Bewegungsabläufe zu imaginieren.

Mit Teamsportlern lotet Engbert im Vorfeld Stimmungen aus und bietet sich als Mediator für mögliche Konflikte an. Im Übrigen ist er als Sportpsychologe nicht nur für Athleten Ansprechpartner, sondern auch für Trainer und Ärzte.

Noch bis vor knapp zehn Jahren wurde die Sportpsychologie hierzulande mit den Methoden der Mentalgurus gleichgesetzt, die Menschen über glühende Kohlen oder Scherben laufen lassen, wie es auch Fußball-Trainer Christoph Daum Ende der 1990er Jahre von seinen Spielern in Leverkusen verlangte.

Das Image der Disziplin begann sich zu wandeln, als der damalige Fußball-Bundestrainer Jürgen Klinsmann den schon bei der TSG Hoffenheim erfolgreich arbeitenden Sportpsychologen Hans-Dieter Hermann zum DFB holte, wo er seither die Nationalspieler um Kapitän Philipp Lahm betreut.

Datenbank mit Psychologen

Heute werden die Kaderathleten in nahezu allen deutschen Sportverbänden von Psychologen betreut.

Aufgrund des großen Bedarfs hat das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) eine Expertendatenbank ins Netz gestellt, wo Athleten, Trainer und Betreuer den für sie geeigneten Sportpsychologen ermitteln können.

Inzwischen ist es auch selbstverständlich, dass sich Psychologen für Großereignisse wie in Sotschi akkreditieren, um die Athleten vor Ort zu betreuen. „Je näher der Wettkampf rückt„, sagt Kai Engbert, „desto wichtiger ist es, sich mit dem Ereignis an sich und nicht mit den Folgen zu beschäftigen.

Er rate seinen Schützlingen beispielsweise dazu, sich am Start vorzustellen, dass sie ein tolles Rennen fahren, weil sie damit die perfekte Bewegung visualisieren. Wenn sie sich dagegen ausmalen, wie sie siegen oder ausscheiden, entfernen sie sich vom eigentlichen Wettkampf und laden sich womöglich negativ auf.

Am Start, so Engbert, gelte es, sich auf seine Stärken zu konzentrieren und alle Erwartungen auszublenden.

Hohe Bürde für Maria Höfl-Riesch

Die größten deutschen Hoffnungen in Sotschi ruhen auf Doppel-Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch, die die allgemeine Euphorie jedoch lieber dämpfen würde.

„Ich will die Erwartungen von außen nicht ins Unermessliche treiben“, sagte sie mit Blick auf ihre jüngsten Weltcup-Erfolge.“

„Natürlich tut man sich leichter, wenn man so einen Lauf hat, aber auch das ist keine Garantie für eine Medaille. Es kann schnell wieder in die andere Richtung gehen.“

Tatsächlich liegt die Weltelite in den meisten Disziplinen so dicht beieinander, dass Zehntel- oder Hundertstelsekunden über eine Medaille entscheiden.

„Die ganz großen Erfolge werden am Ende im Kopf entschieden“, ist auch Wolfgang Maier, Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes, überzeugt.

Weitere Informationen im Internet unter: www.sportpsychologie-muc.de und www.bisp-sportpsychologie.de

Artikel in der Ärztezeitung

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