Interview vom 01.05.2013

Warum das Unmögliche uns motiviert:

Immer wieder müssen Sportler in vermeintlich aussichtslosen Wettkämpfen antreten. Sportpsychologen beantworten die Frage, warum der Kampf David gegen Goliath trotzdem aufgenommen wird. Von Lorenz Vossen

Wer in diesen Wochen und Monaten gegen den FC Bayern München antritt, dem ergeht es meist wie Sisyphos. So wenig der tragische Held in Homers Odyssee seinen Felsbrocken auf die Spitze des Hügels zu wuchten vermag, so unmöglich scheinen die Siegchancen der Gegner des deutschen Fußball-Rekordmeisters. Gerade mal zwei von 47 Pflichtspielen haben die Bayern in dieser Saison bislang verloren. In der Bundesliga brechen sie alle Rekorde.

Auch auf den FC Barcelona wartet am Mittwochabend im Halbfinale der Champions League eine Sisyphos-Aufgabe: Die Spanier haben gegen München einen 0:4-Rückstand aus dem Hinspiel aufzuholen – was einer Mannschaft in Europas höchster Spielklasse noch nie gelang.

Sieht man davon ab, dass Barcelona allein schon wegen der Wettbewerbs-Regularien antreten muss, bleibt die Frage, wie und warum Sportler sich aussichtslos erscheinenden Aufgaben wie diesen überhaupt stellen.

Faszination David gegen Goliath

Der Kampf David gegen Goliath ist eines der aufregendsten Phänomene im Sport. Der DFB-Pokal im Fußball beispielsweise, bei dem Vereine mit vier oder mehr Ligen Unterschied aufeinandertreffen, zieht seine Faszination aus ebendiesem Reiz.

„Sport liefert die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Themen, die uns auch im täglichen Leben fordern: Schaffe ich es, oder schaffe ich es nicht und kann ich mit den Konsequenzen meines Tuns leben?“, sagt der Sportpsychologe Andreas Marlovits: „Ein Extremkletterer wird weniger aus einem vermeintlichen Todestrieb, sondern durch diese Frage angetrieben.“

Motivation als Streben nach dem gewünschten Erfolg bildet dabei die Grundvoraussetzung. Im antiken Griechenland versuchte man, Antrieb mit dem Prinzip des Hedonismus zu erklären – der Natur des Menschen, Vergnügen und Lust anzustreben und Unlust oder Schmerz zu vermeiden.

Sigmund Freud verwendete dafür später den Begriff der Libido. Der dem Es entstammende Trieb steuere demnach je nach internen und externen Rahmenbedingungen (Ich und Über-Ich) das Verhalten.

Transmitterausschüttung festigt Ergebnis

Die moderne Sportpsychologie beruft sich heute auf ein Modell der allgemeinen Psychologie aus den 60er- und 70er-Jahren, das im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt wurde. Es beruht auf drei Faktoren. Zuoberst stehen dabei die Motive einer Handlung. Das im Sport wichtigste ist das Leistungsmotiv; das Bestreben eines Sportlers, seine Leistung zu steigern oder möglichst hochzuhalten.

Der mittlerweile verstorbene US-Psychologe John William Atkinson stellte dabei fest, dass die Freude über den Erfolg einer Leistung umso größer sei, je schwerer die Aufgabe sei. Denn gewisse Areale im Gehirn sagen das Ergebnis einer jeden Handlung voraus. Je überraschender der Ausgang, desto stärker die damit assoziierte Transmitterausschüttung und desto stabiler wird das Ergebnis im Gedächtnis abgespeichert.

Das Leistungsmotiv ist eng mit dem zweiten Faktor verknüpft: Erwartung und Erfolgswahrscheinlichkeit. Die Sportpsychologie unterscheidet dabei zwischen Sportlern, deren Motivation aus der Hoffnung auf Erfolg oder Angst vor Misserfolg entsteht. Erstere setzen sich realistische Ziele, die anderen eher niedrige oder sehr unrealistische. Die einen neigen zu Optimismus, die anderen zu Pessimismus. Diese Einstellung ist von Athlet zu Athlet unterschiedlich.

Hohe Motivation ist idealtypisch

So sagte Barcelonas Spieler Dani Alves nach dem 0:4 in München: „Es bleiben noch einmal 90 Minuten, und die können sehr lange werden. Am Ende der beiden Spiele wird abgerechnet.“ Die Kollegen Gerard Piqué und Xavi hingegen räumten ein, dass ein Weiterkommen praktisch unmöglich sei.

„Idealtypisch ist ein Sportler hoch motiviert durch Hoffnung auf Erfolg“, sagt der Sportpsychologe Thomas Ritthaler von der TU München. Trotzdem könnten auch misserfolgsorientierte Sportler auf Grund ihrer Angst vor dem Scheitern Höchstleistungen erbringen.

Den dritten Faktor des Motivationsmodells bildet der Anreiz einer Handlung. Hier entsteht die Motivation eines Sportlers entweder aus eigenem Antrieb, um seine persönlichen Idealvorstellungen zu erreichen. Oder er wird von äußeren Faktoren wie Geld oder der Erwartungshaltung des Publikums angetrieben.

„Profisportler haben in der Regel eine einen hohen Anteil intrinsischer Motivation. Ohne diese wären sie in dem, was sie tun, gar nicht erst so gut geworden“, sagt Ritthaler.

Kompetenz muss wahrgenommen werden

In der Theorie funktioniert das Motivationsmodell multiplikativ. Gibt es kein Motiv, null Wahrscheinlichkeit auf Erfolg und keinen Anreiz, kann keine Motivation entstehen. Doch was bedeutet das in der Praxis?

„Sehr hilfreich für Sportler in vermeintlich aussichtslosen Situationen ist es, wenn sie lernen, ihren Aufmerksamkeitsfokus nicht allein auf das Ergebnis, das Gewinnen zu richten, sondern stattdessen auf erfolgversprechende Aspekte der Handlungsdurchführung“, sagt Ritthaler. Aufschlussreich ist dabei die Analyse der Attribution, der subjektiven Ursachenzuschreibung von Erfolg und Misserfolg. Macht ein Sportler sich selbst für Misserfolg verantwortlich, schadet das seinem Selbstbewusstsein. Ritthaler: „Wichtig ist, dass er lernt, die Situation so zu betrachten, dass seine wahrgenommene Kompetenz und sein Können stabilisiert werden.“

Viele Sportler suchen deshalb nach externen Faktoren. So waren sich nahezu alle Barcelona-Spieler nach dem Hinspiel einig, dass Bayern München an diesem Tag einfach überlegen war. Keiner sagte, dass das Team selbst zu schlecht gewesen sei. „Es hilft den Spielern, wenn sie Ursachen ausmachen, die sich im nächsten Spiel ändern lassen“, sagt Ritthaler.

Ohne Druck kann es leichter gehen

Und: „Man könnte in einer sportpsychologischen Wettkampfnachbesprechung weitere externe Faktoren analysieren, die eine Rolle gespielt haben könnten. Ein selbstwertdienliches ‚Reframen‘ einer Situation kann sehr hilfreich sein, sollte sich nur an der Wirklichkeit des Sportlers orientieren und nicht in offensichtliche Ausreden abgleiten.“

Allgemein profitieren Teams in Situationen wie der FC Barcelona davon, dass der Druck nicht bei ihnen liegt. „In aussichtslosen Situationen wagt man Dinge, die man sich normalerweise nicht trauen würde. Diese Unbeschwertheit kann von Vorteil sein“, sagt Ritthaler. „Auch die Tatsache, dass eine Mannschaft in ihrem Stolz gekränkt wurde, kann ihre Motivation steigern“, sagt Marlovits.

Tatsächlich befand Xavi: „Wir müssen versuchen, das Spiel zu drehen, allein aus Stolz.“ Dass die Mannschaft dazu in der Lage ist, bewies sie im Achtelfinale im März, als ein 0:2 im Hinspiel gegen den AC Mailand durch ein 4:0 im Rückspiel noch gedreht wurde.

Einer muss den ersten Schritt machen

Andreas Marlovits setzt bei seiner Arbeit mit Sportlern auf ein Zwei-Stufen-Modell: „Sehr hilfreich ist es, wenn Spieler zunächst all das loswerden können, was sie blockiert. Das kann im Team oder auch im Vier-Augen-Gespräch gehen. Im zweiten Schritt wird der Fokus auf den Wiedererwerb der Handlungsfähigkeit gelegt.“

Wie das funktionieren kann, schildert eine Szene aus dem Buch „Gentlemen, wir stehen am Abgrund“ des Journalisten Thomas Pletzinger, der den Basketball-Bundesligisten Alba Berlin eine Saison lang begleitete. In einer besonders schlechten Phase hält der eher zurückhaltende Derrick Allen eine emotionale Rede und heult dabei Rotz und Wasser. Der Tenor: „Ich habe es satt, was wir hier für einen Mist zusammenspielen.“ Kurz darauf findet die Mannschaft in die Erfolgsspur zurück – und wird immerhin Vize-Meister.

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